Über Selbstreinigung der westlichen Ostsee und Fischsterben durch Sauerstoffmangel durch Bildung von Schwefelwasserstoff
Datum | Uhrzeit | Wasserstand |
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23.10.1972 | 8:00 Uhr | 1,10 m unter Normal |
23.10.1972 | 20:00 Uhr | 1,14 m über Normal |
24.10.1972 | 8:00 Uhr | 1,07 m unter Normal |
Innerhalb 24 Stunden sind eine Wassermenge von 204 Mill. durch die Strömung in unsrer Förde herein- und wieder herausgedrückt worden. Welch ungeheure Naturkraft steckt in den Strömungen, die solche Mengen Wasser innerhalb so kurzer Zeit umwälzen und befördern, da wir doch keinen Tidenhub durch Ebbe und Flut haben. Die Strömungsverhältnisse in unsrer Förde sind sehr verschiedenartig: Oberflächenströmung und Grundströmung, starker einlaufender Strom an der Nordseite unsrer Förde steht nicht minder starkem auslaufendem Strom auf der Südseite der Förde gegenüber – oder auch umgekehrt, je nach Wind- und Wetterlage. Bei starker Oberflächenströmung wirkt die Grundströmung oft noch viel stärker – und das in entgegengesetzter Richtung zur Oberflächenströmung.
Bei der Handwaadenfischerei und der Treibnetzfischerei mit Heringsnetzen konnte man täglich die verschiedenen Spielarten der Strömungsverhältnisse unsrer Förde beobachten und erleben – sie führten oft zu Überraschungen und auch zu viel Ärger. (Diese Ausführung sei nur ein kleiner Hinweis auf die Strömungsverhältnisse unsrer Förde.)
Unsere Förde ist in der Außenförde von Boknis Eck bis Dänisch Nienhof, dem Rüggen Eck, ungefähr 10.000 m breit. Die Innenförde – vom Ort bis zu den Mövenbergen – ist ungefähr 2.500–2.700 m breit.
Die Länge der Förde von der gesamten äußeren Linie bis zum Vorstrand beträgt im Mittel ungefähr 17.000 m. Die mittlere, durchschnittliche Breite liegt bei 6.000 m. Die Fläche unserer Förde beträgt somit etwa 102 Millionen Quadratmeter. Wenn der Wasserstand morgens um 8:00 Uhr 1 m unter Normal lag und bis 18:00 Uhr auf 1 m über Normal anstieg, dann ergibt sich ein Hub von 2 m. Dieser Wasserstandsunterschied wirkt sich auf der Fläche von 102 Millionen Quadratmetern mit einem Volumen von 204 Millionen Kubikmetern Wasser aus. Und dass diese riesige Wassermenge bis zum nächsten Morgen um 8:00 Uhr wieder 1 m unter Normal war, zeigt, welche enormen Naturkräfte hier wirken. Wenn man sich nur die Fläche zwischen Fehmarn und Alsen entlang der schleswig-holsteinischen Küste vorstellt, kann man ermessen, welche gewaltigen Wassermengen innerhalb von 24 Stunden durch Großen und Kleinen Belt strömen – trotzdem spricht man von einer Verunreinigung der westlichen Ostsee. Meiner Meinung nach ist es unverantwortlich, solche leichtfertigen Prognosen aufzustellen.
Das Fischsterben durch Sauerstoffmangel, welcher sich an den verschiedensten Stellen, aber hauptsächlich in den Förden durch Bildung von Schwefelwasserstoff hervorgerufen wird, liegt an unsrer Küste bedingt an langanhaltende warme und gute Wetterperioden, dass einfach zu wenig Ostwinde bzw. Stürme aus dieser Richtung ausgeblieben sind. Denn Seegang und Strömungen wälzen den Sauerstoff im Oberflächenwasser bis zum Meeresboden, um die Nahrung für die Fische und diese selbst – hauptsächlich einiger Fischarten, die ihren Lebensdasein am Meeresboden und der Nahrung aus diesem fristen und sich wenig oder überhaupt nicht pelagisch verhalten.
Dass der „ansteckende Grund“, wie es in der Fischerei bezeichnet wird, nicht erst neuzeitig durch Verschmutzung und Verunreinigung des Wassers der westlichen Ostsee geschieht oder verursacht wird, ist der Beweis, dass schon in den Jahren, als es noch keine Motoren in der Fischerei gab und alles auf Segel und Riemen angewiesen war, sich von den Monaten Juli/August an auf den einzelnen Fanggründen für die Goldbutt- und der sonstigen Plattfischfischerei mit den Stellnetzen sich diese Seuche einstellte – nach lange anhaltenden Wärmeperioden mit Windstille und mit wenig stärkeren Ostwinden, die diesen guten Wetterperioden vorangegangen waren.
Diese verseuchten Stellen machten sich durch plötzlich übergroße Goldbuttfänge auf den Buttnetzen bemerkbar, wovon ein großer Teil schon erstarrt und tot war und die noch lebten, aber flau waren. Meistens erholten sich die Butt dann schnell im Bünn durch das sauerstoffbereicherte Oberflächenwasser. Beim Einholen der Netze konnte man den faulen, muffigen Schwefelwasserstoffgeruch riechen. Bei denjenigen Fischern, die ihre Netze auf denselben Fangplatz ausgesetzt, aber erst am nächsten Tag ihre Netze einholten, war der ganze Fang tot, und die Netze stanken noch nach dem Spülen penetrant nach dem Seuchengeruch.
Diese Seuche stellte sich an den verschiedensten Stellen ein – ob im Kleinen Belt, am Breitgrund zu Veisnitz, am Manchestergrund oder Millionenviertel, Hohwachter Bucht oder den sonstigen Fangplätzen für die Buttnetze auf weichem Grund mit über 20 Meter Wassertiefe. Ebenso stellten sich diese Vorgänge nach der Einführung der Schleppnetzfischerei auf den verschiedenen Fangplätzen nach den vorher geschilderten Wetterbedingungen ein.
Gewöhnlich stellten sich plötzlich übernormale Buttfänge ein, wo schon mehrere flau mit gebleichten Flecken versehene Goldbutt dazwischen waren und das Schleppnetz schon den penetranten Gestank anhaftete. Fischer, die für den nächsten Tag nach dem ergiebigen Fangplatz ausliefen, hatten nach 1 Stunde Schleppen kein einziges Lebewesen irgendeiner Art im Netz, sondern nur totes Gewürm und Gestank.
Aus eigenen, mehrfach in diesem Vorgang erlebten Begebenheiten möchte ich hier schildern: Es war Ende August 1922. Wir fischten mit dem Schleppnetz in der Veisnitzer Rinne mit noch zwei Booten mehr, schon vier Fangreisen. Die ersten Reisen brachten noch 300–400 ℔ große Goldbutt pro Tag auf dem Boot. Danach wurden die Ergebnisse rapide weniger von Tour zu Tour. Den letzten Tag hatten wir nachmittags um 5 Uhr noch keine 100 ℔ der großen Goldbutt im Bünn.
Da wir unsere großen Goldbutt in Sonderburg für 700er das Pfund verkaufen, die beiden anderen Boote waren die letzten Reisen nicht mehr auf dem Fangplatz erschienen, sondern zum Fehmarnbelt gelaufen, liefen wir um ½ 6 Uhr nach Alsen zu, als wir eine gute ½ Stunde vom alten Fangplatz […]
Hier beginnt ein neuer, thematisch aber gleicher Text
Über die Strömungsverhältnisse in unserer Förde und deren Auswirkungen auf die Fischerei habe ich berichtet. Nun möchte ich etwas zu den Naturkräften dieser Strömungen und den Wasserständen sagen, die gleichzeitig auch für die gesamte Ostseeküste mit ihren kleinen Buchten in Schleswig-Holstein gelten.
Unsere Förde ist in der Außenförde – von Boknis bis Dänisch-Nienhof – 5,2 Seemeilen breit, was etwa 9.600 m entspricht. Die schmalste Stelle in der Innenförde misst 1,5 Seemeilen, also ca. 2.400 m. Daraus ergibt sich eine mittlere Breite von rund 6.200 m. Die Länge von der äußeren Mündung bis zur Stadt beträgt 8,6 Seemeilen bzw. 15.920 m. Laut meiner Berechnung ergibt das eine Fläche von 99.096.337 Quadratmetern (gerundet etwa 100 Millionen). Bei einem Wasserstandsunterschied von 1 m entspricht das auch 100 Millionen Kubikmetern Wasser.
Da ich direkt am Strand wohne und großes Interesse an den Strömungen und Wasserständen habe, ist mir an einem besonderen Tag, dem 23. Oktober 1972, aufgefallen: Morgens um 8 Uhr lag der Wasserstand 1,10 m unter Normal. Ich bemerkte jedoch, dass er anstieg. Um 18 Uhr desselben Tages lag der Pegel bei 1,14 m über Normal, und am 24.10. morgens um 8 Uhr war er wieder auf 1,07 m unter Normal gefallen. Ich habe mich daraufhin hingesetzt und berechnet, wie viel Wasser innerhalb von 24 Stunden durch die Strömungen in unsere Förde hinein- und wieder hinausgeflossen ist. Bei einem durchschnittlichen Hub von 2 m kam ich auf 200 Millionen Kubikmeter Wasser, die durch Naturkräfte bewegt wurden. Daran kann man sich vorstellen, welche Mengen bei noch größerem Wasserstandsunterschied transportiert werden – wie etwa 1872, als der Hub in Eckernförde 4 m betrug, also 4 m über Normal lag.
Wenn man dann die gesamte Wasserfläche vor der Ostküste von Schleswig-Holstein – von Alsen bis Fehmarn – betrachtet, kann man erahnen, wie viel Wasser durch die Belte strömt, mit welcher unglaublichen Geschwindigkeit sich der Wasserstand erhöhen und ebenso schnell wieder fallen kann. Und das alles, obwohl es hier – anders als an der Nordsee und auf den Weltmeeren – keinen Tidenhub mit Ebbe und Flut gibt.