Das erste Mal auf Fischfang
Mein Großvater, Friedrich Mumm und mein Vater betrieben mit je einem Drittel die Fischerei. Mein Großvater hatte schon vorher mit Friedrich Mumms Vater zusammen gefischt. Als der alte Mumm starb übernahm sein Sohn Friedrich seinen Part. Mein Vater war der dritte Partner. Sie hatten sich 1903 bei der Eckernförder Glasau-Werft eine fast 13 Meter lange Quase (in Eckernförde sagte man „Quatsch” dazu) bauen lassen. Das war ein Kielfischerboot mit Gaffelsegel und Bünn. Ein paar Jahre später ließen sie sich einen Einzylinder-Glühkopfmotor 10 PS einbauen. Die meiste Zeit segelten sie, weil es billiger war.
Es war im Mai 1909, ich war nun bald 9 Jahre alt, so fing ich an, wie auch andere Fischerjungs ihre Väter, meinen Vater zu tribulieren, dass ich mit zum Fischfang wollte. Aber mein Vater wollte noch nicht so recht. Ich ließ aber nicht locker, bis er zuletzt ja sagte. Er sagte „fang mir aber nicht an zu jammern, wenn du seekrank wirst, dass du wieder nach Hause zu Mutter willst! Wenn du mit an Bord bist, musst du mit anpacken, das ist keine Vergnügungsfahrt. Du gehörst dann mit zu Crew als vierter Mann, so wie dein Großvater, Fiete Mumm und Ich. Ich meinte, was solle ich wohl Seekrank werden, ich sei doch ein Fischerjung. „Na ja”, sagte mein Vater, „wir kriegen es ja zu sehen. Wenn nach Pfingsten Fangwetter ist, geht es los. Wir wollen mit Heringsnetzen fischen. Mit Buttnetzen ist kein Blumentopf zu gewinnen, durch die lange Ostwind-Periode ist bloß Schiet und Schlick auf den Netze und viel mehr als Arbeit ist nicht drin.”
Es waren noch 3 Tage bis Pfingsten und die kamen mich ordentlich lang vor. Aber Pfingstmontag ging es los. Ich hatte tüchtig mitgeholfen beim Einsteinen der Netze und schon vorher passende Steine am Strand gesammelt. Nachmittag um 4 Uhr ging die Fahrt los. Meine Mutter war mit zum Hafen gekommen und gab Vater gute Ratschläge: gut aufpassen und nicht so streng sein, und so weiter.
Wir hatten Südostwind 3-4. Mit Großsegel und Fock segelten wir aus dem Hafen. Die Quatsch legte sich Recht schräge, so dass wir auf der Leeseite ordentlich Wasser übernahmen. Wir segelten hart am Wind in Richtung Schnellmarker Wohld. Junge, war das ein Spaß, das war was anderes als mit der Jolle am Strand zu segeln. Mein Vater stand am Ruder und meinte: „Wenn wir einen Schlag von den Gelben Bergen weg sind, gehen wir über Stag und kommen nach Solterbeck bei Karelsminde.” Zu mir sagte er: „halt dich gut fest und passt auf, dass du nicht so nass wirst, denn wir kriegen ordentlich mehr Wasser über. Denn der Wind wird steifer. Der nächste Schlag ging nach Krusendorf, wo wir die Segel wegnahmen und den Motor anwarfen. Nun übernahm mein Großvater das Ruder. Vater ging in den Motorraum, um den Zylinderkopf mit der Lötlampe anzuwärmen bis er glühend war. Erst dann konnte man den Motor anwerfen. Unter Krusendorf gingen wir mit der Quatsch in den Wind und fierten den Fock weg und machten das Großsegel am Mast fest. Mit Motor liefen wir zur Südkehle. Das war ein Fangplatz südlich von der Mittelgrund-Stollergrundrinne. So lange war es mir gut gegangen, aber als das Boot dwars zu den Wellen lief und gewaltig schaukelte, wurde es mir doch komisch im Bauch. Es war grade so, als wenn ich was Schlechtes gegessen hatte und es rauswollte. Fiete Mumm sah mich an: „Du bis ja ganz blass geworden. Gleich kommt es oben raus. Gehe zur Leeseite und spukt dich aus. Pfui Deibel war das ein Gefühl.
Mein Glück war, dass wir nach kurzer Zeit am Fangplatz angekommen waren und mit dem Vorsteven in den Wind gingen.
Fiete Mumm warf die Boje über Bord, woran ein schwerer Stein befestigt war, welcher das Wegtreiben der Netze verhindern sollte. Die Boje war mit einer Fahne versehen, so dass jeder andere Fischer sehen konnte, dass hier Netze stehen. Dann ging das aussetzen der Netze los. Das Boot wurde rückwärts an dem Wind gehalten, damit die Netze nicht in die Schraube kamen. Für Boote ohne Motor war es nicht so einfach. Die mussten mit den Fock das Boot im Wind halten weil das Aussetzen sonst zu schnell ging und die Netze nicht ordentlich über Bord kamen.
Da das Aussetzen für mich interessant war und das Boot nicht mehr seitwärts schaukelte, ging es mir ordentlich was besser. Mein Großvater sagte: „wie kann es angehen, dass ein Fischerjunge bei so einem schönen Mützenwetter seekrank wird? Aber ich sage ja immer, die Jungen sind auch nicht mehr was sie früher waren!”
„Sei du man still!”, sagte Fiete Mumm, „Ich glaube nicht, dass es dir und Wilhelm das erste Mal auf See besser ergangen ist!” Mein Großvater, der überall als harter, eiserner Mann bekannt war, dem kein Wetter zu schlecht war, griente nur.
Nach eine Stunde hatten wir die Netze in drei Schichten von Außen nach Innen ausgesetzt. Das innerste Ende war dwars ab von der Krusendorfer Kirche. Unterhalb der Kirche liegt im flachen Wasser ein großer schwarzer Stein. Mein Großvater sagte: „Den hat der Düvel von der Waabser Seite nach der Kirche geworfen. Er hat aber nicht genug Kraft gehabt und der Stein ist ein paar hundert Meter zu kurz geflogen. Trotzdem haben die Krusendorfer ihre Kirche abgebaut und weiter im Land wieder aufgebaut, so dass der Teufel keine Chance mehr hatte, die Kirche zu treffen.” Geglaubt habe ich Großvaters Geschichte nicht, denn dasselbe erzählt man vom weißen Stein im Windebyer Noor.
Nach dem Aussetzen der Heringsnetze steuerte mein Großvater Noerswiek an, wo wir vor Anker gingen. Dort war es ruhig und von Wind und Wellen nichts zu spüren. Aber beim Hinlaufen waren wir wieder dwars zu den Wellen gefahren und es hatte wieder doll geschaukelt und mir war wieder schlecht geworden und hatte mich übergeben müssen. Inzwischen war es Abendbrotzeit. Fiete Mumm hatte Kaffee gekocht. Ich rührte nichts an. Kein Appetit. Mein Großvater nahm einen großer Becher, füllte Salzwasser von Überbord ein und gab mir das. „Trinkt das aus und du wirst nie wieder Seekrank.” Das schmeckte fürchterlich und kam im hohen Bogen gleich wieder raus. Nach dem Abendbrot hielt Fiete Mumm die erste Ankerwache und wir drei legten uns in die Kajüte in die Kojen um zu ruhen und ein bisschen zu schlafen.
Morgens um halb 3 Uhr weckte mein Großvater uns. Anker wurde aufgeholt und mit Motor ging es zum Fangplatz, wo unsre Netze standen. Der Wind war etwas flauer geworden und die See war nicht mehr so grob. Mir wurde wieder etwas schwummelig, aber ich dachte an die Worte von meinem Großvater, dass ich nicht mehr Seekrank werde. Die Heringsnetze wurden gegen den Wind eingeholt, dabei liefen wir mit langsamer Fahrt gegen den Wind, um das Einholen zu erleichtern. Ich musste ordentlich mit anfassen. So dass ich für Seekrankheit gar keine Zeit mehr hatte. Es waren 2-3 Wall auf den Stücken und es machte Spaß. Als die Netze eingeholt waren, liefen auf Land zu, um die Heringe aus den Netzmaschen zu pulen (Abstecken).
Beim Abstecken musste der Kopf zuerst aus den Maschen gedrückt werden. Anders hakten die Heringe mit Bauch und Rückenflosse fest. Ich hatte ordentlich mitgeholfen. „Der Fang war tüchtig gut”, meinte mein Vater. Wir hatten 60 Wall Heringe gefangen (Wall = 80 Stück). Es waren zusammen 950-1000 Pfund. Wir machten die Netze wieder klar und setzen sie am alten Fangplatz wieder aus. Mit Motor und Segel ging es nach Hause, wo wir nach gut zwei Stunden ankamen. Für die Heringe gab es 4,20 Mark pro Wall, das war ein guter Preis. Ich bekam von jedem 1½0 Mark und kam mir wie ein Krösus vor.
Meine Mutter war auch zum Hafen gekommen und fragte Großvater, ob ich seekrank geworden sei. Großvater antwortete: „Was soll er wohl seekrank geworden sein. Er ist doch ein echter Fischerjunge!”