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Die Verseuchung der Meere

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Dies ist ein Bericht über die natürliche Verschmutzung des Meeresbodens im westlichen Teil der Ostsee vor der Ostküste Schleswig-Holsteins mit den Förden und Buchten.

Seit vielen Jahren, auch in letzter Zeit wieder, wird viel über die Verschmutzung von Nord- und Ostsee sowie den Zuflüssen dieser Gewässer gesprochen, geschrieben und gehört. Die Abwässer, die durch Chemikalien und andere giftige Substanzen verunreinigt sind und weiterhin verunreinigt werden, haben das Leben aller Fischarten und die Nahrungsketten dieser Lebewesen vergiftet, zerstört oder ungenießbar gemacht. An vielen Stellen dieser Gewässer ist die Fischerei stark betroffen, einige Gebiete sind sogar so stark von diesem Übel betroffen, dass die Fischer gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt aufzugeben.

In den Zeitungen konnte man kürzlich lesen, dass die gesamte Kieler Förde sowie Teile der Flensburger Förde als tot bezeichnet wurden. Einige Kollegen haben in den 1920er Jahren noch in der Flensburger Förde in ihren Reusen Aale gefangen, insbesondere in der Innenförde. Ihre Baumwoll-Reusen waren jedoch aufgrund des schlammigen Bodens und der vielen verschmutzten Abwässer, die in das Hafengebiet gelangten, schnell von Verrottung betroffen. Trotzdem fischten sie weiter aufgrund der guten Aalfänge. Es kam sogar vor, dass sie viele Aale in ihren Reusen hatten, die jedoch alle tot waren, da der Boden aufgrund von Sauerstoffmangel und der Bildung von Schwefelwasserstoff verseucht war.

Die Ursachen für ein solches Ereignis sind meistens ein warmer Sommer mit wenigen östlichen Winden. Dieses Phänomen ist eine natürliche Folge, die viele Gebiete in der westlichen Ostsee zwischen Alsen und Fehmarn betrifft, einschließlich der Kieler Förde und insbesondere der tiefen und langgestreckten Eckernförder Förde.

Jedes Jahr, insbesondere in den Sommermonaten, wenn längere östliche Stürme ausbleiben, kann es an bestimmten Stellen am Meeresboden zu Sauerstoffmangel kommen, was zur Bildung von Schwefelwasserstoff führt und eine Seuche auslöst, die sich über verschiedene kleinere und größere Gebiete ausbreitet.

In der Fischerei wurde dieses Phänomen seit jeher als „Der ansteckende Grund“ bezeichnet. Es tritt bei bestimmten Wetterlagen in den Monaten Juli und August auf und kann an einigen Stellen, wie zum Beispiel in den Förden, bis Oktober oder sogar November anhalten, wenn es in diesen Monaten keine Periode mit lang anhaltenden Oststürmen gibt. In der offenen See verschwindet diese Seuche schneller als in den Förden.

Auf der offenen See wird der Einfluss von stürmischem Wind stärker bemerkt als an der Küste oder in den Förden. Denn der Seegang wirkt in diesem Fall wie ein Arzt, der Sauerstoff von der Wasseroberfläche bis zum Meeresboden pumpt.

Aus langjähriger Erfahrung in der Fischerei wurde festgestellt: Während der Buttnetz-Fischerei nach Goldbutt, die weit bis ins vorige Jahrhundert zurückreicht, erzielten die Fischer an den Fangplätzen in den Monaten Juli, August und sogar später bei warmem und windstillem Wetter ohne östliche Stürme in Tiefen von 22-28 Metern außergewöhnlich große Goldbutt-Fänge. Diese Fänge nannten sie „Auffbrechende Butt“, was ein Hinweis darauf war, dass sich am Meeresgrund etwas entwickelte.

Zusätzlich bemerkten sie an einigen ihrer Netze einen unangenehmen Geruch, der die Gewissheit verstärkte, dass der Grund an diesem Fangplatz verseucht war. Dennoch riskierten sie es, ihre klaren Netze wieder auszusetzen, und holten sie am übernächsten Tag wieder ein, um erneut einen großen Fang zu machen. Leider waren jedoch 90% der Goldbutt-Fänge steif wie ein Brett und tot, offenbar erstickt.

Die wenigen überlebenden Butt waren matt und erschöpft, ihre Oberfläche mit hellen Flecken bedeckt. Sobald diese Goldbutt aus den Netzen heraus und in die Butte kamen, wo sauerstoffreiches Wasser vorhanden war, erlangten sie innerhalb einer halben Stunde ihre normale Farbe zurück und wurden wieder lebhaft. Die toten Butt wurden aus den Netzen entfernt und über Bord geworfen. Für ihre klaren Netze an Bord mussten sie einen anderen Fangplatz suchen.

Als sie auf dem Rückweg ihre Netze entsteinten, schossen sie ihre Netze Molle für Molle (Molle = 5 Netze) im Bund auf. Jede Molle wurde einzeln an einer Leine außenbords gefiert, um während der Fahrt den penetranten Gestank auszuspülen, der sich an Bord durch die Wärmeausstrahlung der Sonne auf die Netze stark bemerkbar machte.

Es war schon immer so, dass sich zu verschiedenen Zeiten auf den Fangplätzen für Buttnetze der ansteckende Grund bemerkbar machte. Die Netze, die auf solchen Grund ausgesetzt waren, mussten mehrmals durchgespült werden, um den lästigen Geruch loszuwerden.

Mein Vater und Großvater haben oft über den ansteckenden Grund und seine Auswirkungen gesprochen, denn vor dem Auftreten der Seuche wurden immer große Butt-Fänge gemacht. Als die Schleppnetzfischerei nach der Jahrhundertwende außerhalb der Hoheitsgrenze, die 3 Seemeilen von der Küste entfernt liegt, eingeführt wurde, traten die ansteckenden Gründe und ihre Auswirkungen noch deutlicher zutage, da durch diese Fischerei bedeutend größere Flächen abgefischt wurden. Diese Fischerei wurde damals als Tuckerei bezeichnet.

Auch bei dieser Fischerei ergaben sich auf einem solchen Fangplatz, wo der Grund begann, sich anzustecken, größere Fänge in den einzelnen Drifts mit dem Schleppgeschirr. Beim Aufholen des Schleppgeschirrs über einem solchen Gebiet konnte man den penetranten Geruch von Schwefelwasserstoff wahrnehmen und an den Goldbutt die hellen Placken auf ihrer Oberseite sehen. Sobald diese Butt im Bünn waren, verschwanden die hellen Placken allmählich.

Wenn man über ein Gebiet mit ansteckendem Grund hinwegfischte, wurde der Fang in den einzelnen Drifts immer geringer, sodass man den Drift nach der einen oder anderen Seite verlegte. Auf diese Weise konnte man feststellen, wie groß die Fläche der Seuche war oder sich ausdehnte, aber auch erkennen, wo der Grund noch in Ordnung war.

Aus eigener Erfahrung hat man die Angelegenheiten mit dem ansteckenden Grund auf verschiedenen Fangplätzen mehrfach erlebt. Wenn sich auf einem Fangplatz unerwartet größere Buttfänge in den einzelnen Drifts einstellten und man noch keinen Geruch wahrnahm, stellte sich am nächsten Tag auf demselben Fangplatz, bereits in den ersten Drifts, der Geruch von Schwefelwasserstoff ein. Gewöhnlich gegen Mittag nahmen die Fänge in den einzelnen Drifts rapide ab, und am späten Nachmittag brachten die letzten Drifts keine Butt mehr ein – ein Zeichen dafür, dass sich die Seuche des angesteckten Grunds voll entwickelt hatte.

Ein besonderes Ereignis erlebten wir im Fehmarnbelt, als wir einige Tage lang gute bis sehr gute Fänge an Goldbutt mit einigen größeren Steinbutt dazwischen erzielten. An einem darauffolgenden Tag fingen wir von morgens um 4 Uhr bis zum Drift am Mittag immer noch 8-8½ Stieg Goldbutt im Drift. Das waren bis zu 2 Stieg mehr als bei den Drifts der vorherigen Reise.

Doch konnten wir vom ersten Drift an den Geruch von Schwefelwasserstoff am Geschirr immer mehr wahrnehmen, hauptsächlich an der Zeese (Zeese = das Schleppnetz). Es war ein sehr warmer Augusttag mit Stille und das Wasser war spiegelblank. Bei den Drifts um die Mittagszeit gab es zu Mittag gekochte Goldbutt. Mein Vater und unser Macker F. Mumm saßen in der Kajütte zum Essen, ich war an Deck und musste unser Geschirr beobachten, dabei nahm ich mein Essen zu mir.

Als ich die Fischgräten von meinem Teller über Bord schütten wollte, entdeckte ich knapp 1 Meter unter der Wasseroberfläche an Steuerbord eine große Menge Goldbutt, zusammen mit 3 und dann 4 großen Steinbutt, die zwischen ihnen schwammen und etwa 6-8 Pfund schwer waren. Ich rief meine Macker, damit sie herauskommen und sich das ansehen konnten. Mein Macker F. Mumm stand an der Backbordseite und sah dasselbe wie ich. Ich nahm unseren Ketscher und untersuchte das Bünn, um zu sehen, ob etwas nicht stimmte. Mein Vater sagte, dass alles in Ordnung sei und dass wir achtern noch immer von Butt umgeben seien, die unter der Wasseroberfläche nach Südosten wanderten. Plötzlich war der Anblick vorbei, der etwa 5-6 Minuten gedauert hatte, seitdem ich ihn bemerkt hatte.

Wir holten unser Geschirr auf mit gut 1 Stieg Butt im Netz. Dann fuhren wir nochmals nach Südosten und hatten denselben Fang wie beim vorherigen Drift. Anschließend liefen wir eine Viertelstunde nach Nordosten und setzten auf diesem Kurs aus. Diese Drift brachte nur 12 Stück Goldbutt. So erlebten wir mit eigenen Augen und bemerkten beim Fischen, dass die Goldbutt vor dem Mittag im Drift noch 5 Stieg Goldbutt brachte. Nach der Mittagspause schienen die Butt wie auf ein Kommando hin, sich vom Grund an die Oberfläche zu begeben, um zu fliehen. In den folgenden Drifts hatten wir nichts mehr im Netz.

Ein ähnliches Ereignis, wenn auch im kleineren Maße, erlebten wir auch 1922 im August im Belt bei ruhigem Wetter. Wir waren an Deck und sahen, wie mehrere Goldbutt und ein größerer Steinbutt etwa ½-¾ Meter unter der Oberfläche nach Osten wanderten. Obwohl die Drift, bei der wir fischten, nur 1½ Stieg Butt im Netz brachte, während die vorherigen Drifts 4-5 Stieg Goldbutt brachten. Wir liefen zu unseren Makkern und erzählten, was wir gesehen hatten, sowie von unserem Fang beim letzten Drift. Sie holten sofort ihr Geschirr ein und hatten dasselbe Ergebnis wie wir. Sie erklärten, dass die Butt sich wohl aufgemacht hatten und auf Wanderschaft gegangen waren.

Das Erlebnis hatten wir nicht alleine erlebt, sondern auch die Gebrüder Kruse, die etwa 5-600 mtr. nördlich von uns fischten. Sie hatten gleich in ihren Bünn geketschert, ob dort womöglich sich eine Planke gelöst hatte, als sie sahen, dass die eben unter der Oberfläche wanderten Butt von achtern kamen. War das Problem vom Bünn gelöst, erzählten sie, dass die Goldbutt ungefähr bei 10 Minuten an ihnen vorbei gewandert waren, und beim Aufholen nur knapp 1½ Stieg Butt im Netz hatten. So machten sie auch noch einen Drift nach Südosten zu, der auch wie bei uns erfolglos war.

Sie sprachen, als sie bei uns längsseits liefen, über das Erlebnis, wie bloß so etwas sich abspielen kann. Die Drifts vorher noch bei 5 Stieg und den nächsten Drifts so zu sagen gar nichts mehr, und erwähnten, dass von Drift zu Drift der Gestank immer stärker wurde. Wir sagten, dass wir es auch bemerkt hätten.

Solche Erlebnisse, sagte mein Vater, hatten früher die Buttnetzfischer, mit ihren Segelquasen bei stillem warmem Wetter oftmals erlebt, wenn sie mit ihren Booten nach Hause unterwegs waren. So haben die alten Fischer immer wieder von aufbrechenden Butt gesprochen, wie auch vom ansteckenden Grund auf den Fangplätzen.

Die Fischer mieden die Fangplätze, wo diese Seuche ausgebrochen und sich über große Flächen ausgebreitet hatte, für eine lange Zeit.

Es war bemerkenswert, dass sich die Seuche oft nach 4-5-tägigen Oststürmen, ob von Nord- oder Südosten, wenn es sich um kleinere Flächen handelte, von selbst löste. Wenn wir versuchten, über das betroffene Gebiet hinweg zu fischen, wie zum Beispiel einmal an der Veisnitzer-Rinne, mit unserem üblichen Fanggeschirr, ohne zu wissen, dass dunkle Herzmuscheln im Netz waren, mussten wir nach einer halben Stunde das Fischen einstellen, da unser Geschirr blockiert wurde.

Beim Einholen der Zeese war es sehr mühsam. Im Netz befanden sich 150-200 Pfund alter toter Herzmuscheln und Schalen dieser Art, ohne jegliche anderen Lebewesen. Aber weder die Zeese noch das Netz rochen nach Schwefelwasserstoff. Danach schien die Seuche in diesem Gebiet vorbei zu sein. Viele von uns vermuteten, dass die alten toten Muscheln, die zuvor im weichen Mutschlamm gelegen hatten, durch das Schleppnetz aufgewirbelt wurden, als die Seuche die Schlammschicht auflöste und abbiss, sodass die Muscheln freigelegt wurden.

Dieses Phänomen wurde von mehreren Kollegen bestätigt, die Ähnliches mit den Muscheln auch an anderen Fangplätzen nach dem Ende einer vorherigen Seuche beobachtet hatten.

Unseren nächsten Drift nach dem Muschelfang verlegten wir etwa eine Seemeile nach Nordwesten. Wir setzten unser Geschirr auf demselben Kurs aus. Der Drift brachte keine Muscheln, aber gute Fänge an Goldbutt und Plattfisch.

In der Eckernförder Förde haben wir es mehrmals erlebt, dass die ganze Förde von innen nach außen, über die 20-Meter-Grenze hinaus, monatelang von der Seuche betroffen war, die wir Fischer den „ansteckenden Grund“ nannten. Jedes Mal geschah dies nach einem warmen, windarmen Sommer, wenn keine länger anhaltenden Oststürme auftraten. Sobald diese Winde im Oktober oder auch erst im November aufkamen, war die Seuche wie vom Besen hinweggefegt. Der Fischfang besserte sich von Tag zu Tag, sowohl bei Plattfischen als auch bei Dorschen. Während der verseuchten Zeit war dort kein Lebewesen zu fangen.

Ich habe mir vorgenommen, über diese Angelegenheit einen kleinen Überblick zu geben. Viele Leute hören und lesen heutzutage durch Presse, Rundfunk und Fernsehen, dass die ganze Kieler Förde sowie Teile der Flensburger Förde und andere angrenzende Gebiete tot sind. Dieser Vorgang ist jedoch nicht immer durch den Eingriff von Menschenhand geschehen. Es wurden chemische und weitere giftige Substanzen in einzelne Gebiete unserer westlichen Ostsee eingeleitet, wodurch gewisse Fischbestände zum Absterben verdammt sind.

Mit meinem Bericht will ich darauf hinweisen, dass die Verseuchung einzelner Gebiete schon von alters her auf ganz natürliche Weise vor sich geht. Als die Fischerei und die Schifffahrt nur auf Segeln angewiesen waren, konnten kein Öl und keine sonstigen Chemikalien in diesem Gebiet eine Verseuchung verursachen.

Die Erklärungen über den ansteckenden Grund auf Gebieten der offenen See und die Beweise dazu sind von der Netzfischerei nach Goldbutt schon im vorigen Jahrhundert festgestellt und durch die Stellnetzfischerei nach Goldbutt auf den verschiedenen Fangplätzen in den warmen Jahreszeiten bestätigt worden. Die Bestätigung des Geschehens wurde nach 1900 durch die Einführung der Schleppnetzfischerei nach Goldbutt noch mehr hervorgehoben. Ebenso wurden die Auswirkungen der Seuche vom ansteckenden Grund, die sich aus natürlichen Gründen entwickelte, auf den einzelnen Gebieten der westlichen Ostsee vor der schleswig-holsteinischen Ostküste nur durch die Buttnetzfischerei nach Goldbutt festgestellt, zu der Zeit, als auf diesem Gebiet noch Goldbutt in großem Umfang vorhanden war. Bis in die 1920er Jahre war er von Alters her der segenreichste Fisch für jeden Fischer entlang der Ostküste von Schleswig-Holstein gewesen. Nach damaliger Zeit ist das Geschehen von den ansteckenden Gründen mit der Bildung von Schwefelwasserstoff, die in einer Seuche ausarteten, in den Gebieten der freien See von der Fischerei immer weniger beachtet worden und zur Kenntnis gekommen. Höchstens noch im Bereich der Förden. Bei der heutigen Fischerei macht sich keiner mehr Gedanken darüber, wenn man überhaupt noch weiß, was „Der ansteckende Grund“ bedeutet.

Fr. Daniel

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