Ein harter Winter
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Der Winter von 1921 auf 1922 wurde ein harter Winter. Die Förde war bis zur Linie Langholz-Krusendorf zu einer Eisdecke gefroren. An der Eisgrenze hatte sich das Eis, welches von den starken Oststürmen von der dänischen Küste abgetrieben war, zu einer hohen Packeismauer aufgetümt. Die Langholzer Fischer, die oftmals zur Stadt kamen, erzählten, dass stellenweise das Packeis 5-6 Meter hoch lag in einer Breite von 100 Metern.
Im Januar herrschte an mehreren Tagen eine Kälte von -18 bis -15 °C mit sehr viel Schnee. Wie die Langholzer Fischer berichteten, hatte sich außerhalb des Packeisgürtels das Eis verbreitert von Boknis bis Dänisch-Nienhof. Von März an war an einigen windstillen Tagen schönes, warmes Wetter bei Tag in den Mittagsstunden, doch nachts herrschte sehr starker Frost, den ganzen Monat März fiel bald gar kein Schnee. Alles Schnee, welcher noch auf dem Eis lag, schmolz durch die Mittagssonne auf, fror aber des Nachts zu einer glatten Eisfläche.
Ab Mitte März rüsteten wir für die Eisfischerei mit der Handwaade zu, mit noch drei Waaden mehr, drei Waaden auf der Südseite, eine Waade auf der Nordseite zu Knappschar (Waadenzüge, die innerhalb vom Bratberg waren). Von den Südwaaden war eine in der Au, eine auf der Kronsorten-Huk und wir auf Kronsort 4-5. Die Eisfischerei, vor allem die Zurüstung, war eine schwere Arbeit mit all den Löchern, die ins Eis zu schlagen waren. Die großen Setz- und Hollöcher waren 3-4 Meter lang und 1½-2½ Meter breit. Dann die vielen einzelnen Eislöcher, durch jene mit einer 24 Fuß langen Finnischen Latte ?
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die Waadleine von 400 Metern Länge von Loch zu Loch unterm Eis durchgeschoben werden musste, und dass zweimal. Diese Löcher wurden im Abstand von 6-7 Metern voneinander gemacht, vom Aussetzloch in der Förde zum Holloch unter Land. Mit Bootshaken wurden die Latten von einem Loch zum anderen geschoben. Wir befestigten an den Enden der Leinen gleich ein zweites Paar Leinen, so dass, nachdem die Waade mit der Winde zum Land gezogen wurde, die Folgeleinen für den nächsten Zug gleich unterm Eis lagen. Die ganze Zurüstung dauerte drei Tage. Die Waade und sämtliches Zubehör wie Leinen, Winden mit ihren Böcken, Schlitten, Bohlen, Anker und Kisten, alles musste über Land per Pferdegespann zur Fangstelle gebracht werden. Zu dieser Eisfischerei mit einer Waade gehörten 18 Mann. Mit weniger Männern wäre es nicht möglich gewesen, diese Fischerei zu betreiben.
Über ein bemerkenswertes Geschehen habe ich einen ausführlichen Bericht an anderer Stelle aufgeführt: Auf einer Eisstrecke von sechs Kilometern mit einem Fang von 15 Zentnern auf einem Schlitten bei stürmischem Schneefall unterwegs in 13 Stunden von Aschau bis zum Südstrand unterhalb des Jungfernstiegs mit 10 Mann.
Als die letzte Märzwoche mit südwestlichem Wind kam und dieser stark auffrischte, fing man mit den alten Linienschiffen der Reichsmarine an, auch das Eis in den Förden und Buchten zu brechen. Diese Schiffe waren den ganzen Winter über zum Eisbrechen für die Schifffahrt tätig. Überall, wo Not am Mann war, leisteten sie schwere Arbeit mit dem Eisbrechen.
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Als die Eisfischerei beendet und alles dazugehörige Gerät, wieder nach Eckernförde gebracht und durchgetrocknet auf den Böden verstaut war, rüsteten wir und auch alle anderen wieder für die Ringwaadenfischerei zu.
Nachdem das meiste Eis aus der Förde durch den Westwind abgetrieben war, stellte sich der Ostwind für mehrere Tage wieder ein. So trieben viele Eisschollen wieder in die Förde zurück. An einem Tag lag innerhalb der Linie von Ohrt bis zu den Mövenbergen wieder alles voll von Eis mit Schollen, die bis zu einem halben Meter stark waren. Die ganze Fischerei aus Eckernförde, die zum Auslaufen auf Fangfahrt vorbereitet war, saß nun wieder in einer Mausefalle. Als der Ostwind abflaute, konnten die Fischer von der Kieler Förde wie auch die Maasholmer mit ihren Ringwaaden zum Fang nach unserer Förde auslaufen und erzielten dort sehr gute Fänge, ebenso die nächsten beiden Tage. Wir Eckernförder mussten unterdessen hinter der neuen Eisfläche ausharren. Vor allem hatten die Kieler-Förde-Fischer und die Maasholmer für ihre Fänge hohe Preise bekommen. Am dritten Tag kam nachmittags ein starker Südwest mit Regen auf. Der stürmte bis zum nächsten Morgen. Als der Südwest bei Tagwerden etwas abflaute und auf Nordwest drehte, war alles Eis aus unserer Innenförde verschwunden. So konnten alle Boote auslaufen zum Fang. Innerhalb von einer halben Stunde hatten alle acht Ringwaaden aus Eckernförde ausgesetzt auf der Linie Langholz-Hegenwohld. Ebenso setzten mehrere Ringwaaden aus Laboe, Schilksee, Möltenort und Kiel dort aus. Die Maasholmer kamen erst später, sie hatten Schwierigkeiten mit dem Treibeis gehabt.
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Alle Ringwaaden aus Eckernförde brachten Fänge von 6.000-8.000 Pfund Sielen mit Vollheringen am Markt. Die ersten Ergebnisse nach einem langen, schweren Winter. Auch die nächsten Tage brachten noch gute Fänge, aber die Preise gingen auf die Hälfte des ersten Tages zurück, da auch die Handwaaden, die in Betrieb waren, gute Fänge anlandeten.
Ungefähr die ganze letzte Aprilwoche wurde mit der Ringwaade nirgends mehr ein Fischschwarm aufgespürt, obgleich einzelne Handwaaden, die an der Kante fischten, noch kleinere Fänge an Sielen und Heringen machten. Die Saison war zu Ende, die Ringwaaden wurden eine nach der anderen zum Trockenplatz gebracht, wo dann die anstehenden Reparaturen ausgeführt wurden. Anschließend, als sie trocken waren, wurden sie zum Lagerboden gebracht. Ein Teil der Mannschaft hatte inzwischen das Zubehör zur Ringwaadenfischerei auf den Booten abgetakelt.
Es war die Zeit, in der man die Fischerboote aufslippte, oder mit dem Kran auf das Trockene setzte, um die Bote zu reinigen und zu überholen. Sobald die Boote nach der Reinigung durchgetrocknet waren, wurde geteert und gemalt. Wir hatten unser Fahrzeug schon die letzte Aprilwoche abgetakelt und ausgepackt, über Wasser und innen rein und sauber gemacht, danach mit dem Kran aufs Land gesetzt und den Unterwasserteil gereinigt. Sobald wir Zeit hatten, auch geteert und gemalt, den Motor überholt. Mitte der ersten Maiwoche lag unser Boot wieder im Wasser und wir takelten es wieder auf.
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Zum Wochenende brachten wir unsere Heringsnetze mit allem Zubehör an Bord. Sonntag, den 8.5., liefen wir um 15:30 Uhr aus zum Aussetzen unserer Heringsnetze unterhalb Nieby auf 6-7 Faden Wassertiefe. Die Netze hatten wir für die Treibnetzfischerei klar gemacht. Das Wetter war sehr gut. Ein leichter Flier ? aus Westen, so dass wir die Netze auf Bojen vom Land ab aussetzen, so dass die Netze knapp einen Meter unter der Wasseroberfläche standen. 1:30 Uhr nachts holten wir die Netze ein. Es saßen auf den abwärts stehenden Netzen 2-3 Wall Heringe, auf den Netze nach Land zu waren 5-6 Wall Heringe. Da wir mit den engen 19-20 mm Netzen fischten, waren es natürlich kleine fette Heringe. Unser erster Fang belief sich auf gut 700 Pfund.
Des Abends liefen wir nochmals alleine wieder zum Fang aus. Das Wetter war wie am Tag zuvor. So setzten wir unsere Netze noch etwas näher der Küste zu. Wir waren ungefähr 200 Meter außerhalb der Bundgarnnetze. Bei den ersten Netzen hatten wir die Bojen an den Netzen so befestigt, dass die Netze nur einen Fuß unter Wasser waren. Die nachfolgenden Netze stellten wir auf eine Tiefe von einem halben Meter unter der Wasseroberfläche ein. Die Nacht brachte uns einen Fang von gut 800 Pfund. Es brachten jetzt immer mehr Kameraden ihre Heringsnetze an Bord. Alle Boote erzielten gute Fänge, bis eines Abends leichter Ostwind aufkam. Wir hatten mit dem Aussetzen bis zuletzt gewartet und setzten unsere Netze ein ganzes Stück außerhalb von allen anderen Netzen auf 10-11 Faden Wassertiefe
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aus. Am nächsten Morgen hatten wir einen Fang von 800 Pfund. Alle Boote, die näher dem Land ausgesetzt hatten, hatten Fänge von 100-200 Pfund Heringe, also hatten die Heringe den Ostwind schon in ihrer Schnauze gehabt und sich weiter von der Küste abgesetzt. Des Abends setzten wir unsere Netze an der Kante vom harten zum weichen Grund auf 20 bzw. 21 m Wassertiefe aus. Mit einer Bojentiefe von Dreiviertel Faden. Die Heringe saßen die ersten Tage mehr oben in den Netzen, und am letzten Tag mehr der Mitte und unten zu. So betrieben wir bis zur ersten Juniwoche die Treibnetzfischerei über weichem Grund von 22-26 Metern außerhalb von Boknis, dann wanderten die Heringe auf tiefem Wasser Tag für Tag weiter in unsere Förde ein. Die Fänge betrugen im Durchschnitt 300-500 Pfund das Boot.
Das Geld hatte von Woche zu Woche immer weniger Wert, wenn man für die Heringe, die Anfang der Woche abgeliefert wurden, am Sonnabend erst sein Geld bekam, waren die Fänge der Woche schon ein Viertel weniger wert. So wurden wir uns einig, beschlossen dass das Geld nun täglich ausgezahlt werden müsse.
Am Freitag, den 9.6., bekamen wir einen Brief aus Sonderburg vom Fischkaufmann P. J. Hansen. Er schrieb, dass wenn wir wieder auf Buttfang gingen, er bereit sei, wie im letzten Jahr unsere Fänge an Butt zu jeder Zeit wieder abzunehmen. Die Preise seien dieselben geblieben. Er würde auch mündlich darüber verhandeln mit guter Zusammenarbeit wie im letzten Jahr. Er hoffe auf baldigen Besuch von uns. Ich sagte gleich zu meinem Vater: „Lasst uns heute auf das Einsteinen der Netze verzichten und alles von Bord nehmen, was für die Netzfischerei gebraucht wurde und unser Schleppgeschirr
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für die Buttfischerei an Bord nehmen, dann können wir Sonntag, wenn die Witterung ist, auf Buttfang gehen.” Mein Vater war derselben Meinung. Er sagte: „Geh mit dem Brief gleich zu Fiete Mumm, dass er sich dazu äußert und sage ihm gleich unsere Meinung.” Fiete war sofort damit einverstanden und sagte: „Lass uns um vier Uhr mit unserem Blockwagen beim Boot sein, dann können wir noch alles von Bord nehmen und Zeesen, Leinen, Scherrbretter und den Schleppdraht mit runternehmen.” Er brachte dann auch gleich die Wischenleinen mit. So waren wir uns gleich einig, hatten aber unter uns abgemacht, keinem etwas vom Brief zu erzählen.