User Tools

Differences

This shows you the differences between two versions of the page.

Link to this comparison view

Both sides previous revisionPrevious revision
Next revision
Previous revision
auf_fangfahrt_in_die_vergangenheit_2021 [2025/05/25 00:11] martinauf_fangfahrt_in_die_vergangenheit_2021 [2025/10/26 16:48] (current) martin
Line 22: Line 22:
 Wenn man sich langsam und intensiv auch mit den kleinsten Kleinigkeit beschäftigen muss, bringt einen das viel näher ans Orginalgeschehen heran, als wenn man einen auf Spannung und Unterhaltung optimierten Erlebnisbericht liest oder gar einen Roman, in dem keine öden Episoden vorkommen und wenn doch, man sie überblättern kann. Wenn man sich langsam und intensiv auch mit den kleinsten Kleinigkeit beschäftigen muss, bringt einen das viel näher ans Orginalgeschehen heran, als wenn man einen auf Spannung und Unterhaltung optimierten Erlebnisbericht liest oder gar einen Roman, in dem keine öden Episoden vorkommen und wenn doch, man sie überblättern kann.
  
-Aber nun erstmal eine kleine Zusammenfassung, worum es eigentlich in seinem Tagebuch geht. Anfang 1918, als die Aufzeichnungen beginnen, fischt der junge Fiete Daniel bei seinem Großvater an Bord. Dieser besitzt in seinem Alter noch ein Ruderboot und fischt in der Förde zusammen mit einem Macker mit Stellnetzen auf Butt. Danach geht Fiete an Bord bei dem Fischer Jonni Thies, der mit einem größeren Zugnetzboot, ähnlich dem Boot von Fietes Vater Wilhelm, ebenfalls auf Butt fischt. Wilhelm Daniel ist zu dieser Zeit mit seinem Boot noch beim „Küstenschutz” in Heiligenhafen. Dies ist ein von der Reichsmarine aufgestelltes Kommando, zu dem einige Fischer samt ihrer Boote zwangsrekrutiert wurden. Was genau die Aufgaben des Küstenschutzes sind, wird nicht erwähnt, wahrscheinlich so etwas wie Seeraumüberwachung und Grenzsicherung. Jedenfalls wird Wilhelm wie alle anderen Fischer wegen der Nahrungsknappheit im Reiche im Sommer 1918 aus dem Küstenschutz entlassen, um wieder zu fischen, und sogleich kommt Fiete zu seinem Vater und dessen Macker Fiete Mumm an Bord. Die drei beginnen als einzige Eckernförder Fischer von Burgstaaken aus im Fehmarnsund nach Butt zu fischen. Dort verzeichnen sie unglaubliche Fangerfolge, welche den jungen Fiete Daniel mit einem so guten finanziellen Polster ausstatten, dass er gleich zu Beginn seines Berufslebens seinem Großvater dessen Anteil an dem Zugnetzboot abkaufen kann. Der Großvater ist vormals der dritte Mann an Bord gewesen. Der Krieg endet, kurz bevor Fiete an die Front hätte müssen. Nun beginnt für die Daniels die Zeit der Inflation, welcher sie aber geschickt entgehen, indem sie ihre Butt in Dänemark absetzen, für wertstabile Kronen.+Aber nun erstmal eine kleine Zusammenfassung, worum es eigentlich in seinem Tagebuch geht. Anfang 1918, als die Aufzeichnungen beginnen, fischt der junge Fiete Daniel bei seinem Großvater an Bord. Dieser besitzt in seinem Alter noch ein Ruderboot und fischt in der Förde zusammen mit einem Macker mit Stellnetzen auf Butt. Danach geht Fiete an Bord bei dem Fischer Jonni Thies, der mit einer Quase, einem größeren Zugnetzboot, ähnlich dem Boot von Fietes Vater Wilhelm, ebenfalls auf Butt fischt. Wilhelm Daniel ist zu dieser Zeit mit seinem Boot noch beim „Küstenschutz” in Heiligenhafen. Dies ist ein von der Reichsmarine aufgestelltes Kommando, zu dem einige Fischer samt ihrer Boote zwangsrekrutiert wurden. Was genau die Aufgaben des Küstenschutzes sind, wird nicht erwähnt, wahrscheinlich so etwas wie Seeraumüberwachung und Grenzsicherung. Jedenfalls wird Wilhelm wie alle anderen Fischer wegen der Nahrungsknappheit im Reiche im Sommer 1918 aus dem Küstenschutz entlassen, um wieder zu fischen, und sogleich kommt Fiete zu seinem Vater und dessen Macker Fiete Mumm an Bord. Die drei beginnen als einzige Eckernförder Fischer von Burgstaaken aus im Fehmarnsund nach Butt zu fischen. Dort verzeichnen sie unglaubliche Fangerfolge, welche den jungen Fiete Daniel mit einem so guten finanziellen Polster ausstatten, dass er gleich zu Beginn seines Berufslebens seinem Großvater dessen Anteil an dem Zugnetzboot abkaufen kann. Der Großvater ist vormals der dritte Mann an Bord gewesen. Der Krieg endet, kurz bevor Fiete an die Front hätte müssen. Nun beginnt für die Daniels die Zeit der Inflation, welcher sie aber geschickt entgehen, indem sie ihre Butt in Dänemark absetzen, für wertstabile Kronen.
  
 [{{ :dsc_2877.jpg?nolink |Die letzte existierende Quase im Museumshafen Probstei}}] [{{ :dsc_2877.jpg?nolink |Die letzte existierende Quase im Museumshafen Probstei}}]
Line 50: Line 50:
 Was ich noch interessant finde, ist, dass mir zwar durchaus bewusst war, dass es für Platt keine Nomenklatur gibt und es sich von Region zu Region unterscheidet. Es war mir aber neu, dass es sogar innerhalb eines Gehirns verschiedene Versionen des Plattdeutschen gibt! Für etliche hochdeutsche Wörter hat Fiete nämlich mehrere Plattdeutsche Entsprechungen. Beispielsweise heißt das Wort „geblieben” bei ihm manchmal „bleem”, „bleven” oder „bleb’n”. „Wetter” heißt bei ihm „Wedder”, „Weer” oder einfach „Wetter”. „Bis” heißt manchmal „beed” und manchmal „bit”, „gewesen” heißt „wesen”, „west” oder „ween”. Diese Wörter benutzt er aber nicht zufällig. Dahinter steckt System. Es scheint, dass die etwas härter klingenden Wörter eine größere Ernsthaftigkeit ausdrücken und die weicheren eher eine Leichtigkeit. „Bit Meddag” heißt „bis Mittag”, „beed Meddag” heißt „bis ungefähr Mittag oder etwas später”. Auch ist mir aufgefallen, dass er seine Crewmitglieder und befreundete Fischer als „Mackers” bezeichnet, während die entfernteren Berufskollegen lediglich „Macker” sind. Was ich noch interessant finde, ist, dass mir zwar durchaus bewusst war, dass es für Platt keine Nomenklatur gibt und es sich von Region zu Region unterscheidet. Es war mir aber neu, dass es sogar innerhalb eines Gehirns verschiedene Versionen des Plattdeutschen gibt! Für etliche hochdeutsche Wörter hat Fiete nämlich mehrere Plattdeutsche Entsprechungen. Beispielsweise heißt das Wort „geblieben” bei ihm manchmal „bleem”, „bleven” oder „bleb’n”. „Wetter” heißt bei ihm „Wedder”, „Weer” oder einfach „Wetter”. „Bis” heißt manchmal „beed” und manchmal „bit”, „gewesen” heißt „wesen”, „west” oder „ween”. Diese Wörter benutzt er aber nicht zufällig. Dahinter steckt System. Es scheint, dass die etwas härter klingenden Wörter eine größere Ernsthaftigkeit ausdrücken und die weicheren eher eine Leichtigkeit. „Bit Meddag” heißt „bis Mittag”, „beed Meddag” heißt „bis ungefähr Mittag oder etwas später”. Auch ist mir aufgefallen, dass er seine Crewmitglieder und befreundete Fischer als „Mackers” bezeichnet, während die entfernteren Berufskollegen lediglich „Macker” sind.
  
-Kommen wir mal zum Schluss. Die Abschrift von Fietes Tagebuch war ein unvergessliches Erleben für mich und prägte mein letztes Jahr. Insbesondere die Besuche bei meinen Eltern, welche ich immer über Fietes Abenteuer auf dem Laufenden halten musste. +Kommen wir mal zum Schluss. Die Abschrift von Fietes Tagebuch war ein unvergessliches Erleben für mich und prägte mein letztes Jahr – insbesondere die Besuche bei meinen Eltern, welche ich immer über Fietes Abenteuer auf dem Laufenden halten musste. 
-Mich persönlich beeindruckten die Härte, der Fleiß und die Selbstständigkeit von Fiete und seinen Mackers. Wie auch die hohe Solidarität und Kameradschaft unter den Fischern, trotz gelegentlicher Prügeleien. Auch etwas Neid auf das Fischerleben empfand ich. Denn es birgt trotz seiner Härte auch Privilegien: die Selbstständigkeit und Freiheit auf dem Meer, die Verbundenheit zur Natur und vor allem das Jagdfieber und die Euphorie bei einem großen Fangerfolg.+ 
 +Mich persönlich beeindruckten die Härte, der Fleiß und die Selbstständigkeit von Fiete und seinen Mackers. Wie auch die hohe Solidarität und Kameradschaft unter den Fischern, trotz gelegentlicher Reibereien. Auch etwas Neid auf das Fischerleben empfand ich. Denn es birgt trotz seiner Härte auch Privilegien: die Selbstständigkeit und Freiheit auf dem Meer, die Verbundenheit zur Natur und vor allem das Jagdfieber und die Euphorie bei einem großen Fangerfolg.
 Nostalgisch berührt haben mich die persönlichen Anknüpfungspunkte: Wenn er Orte erwähnt, die ich gut kenne, oder Personen, die mit mir verwandt sind. Oder wenn er sich an Bord an Buttermilchsuppe mit Klößen gütlich tut; ein Familienrezept, das über meine Uroma (Fietes Schwester), auch in meine Familie überliefert wurde und von uns immer noch gelegentlich gegessen wird. Nostalgisch berührt haben mich die persönlichen Anknüpfungspunkte: Wenn er Orte erwähnt, die ich gut kenne, oder Personen, die mit mir verwandt sind. Oder wenn er sich an Bord an Buttermilchsuppe mit Klößen gütlich tut; ein Familienrezept, das über meine Uroma (Fietes Schwester), auch in meine Familie überliefert wurde und von uns immer noch gelegentlich gegessen wird.
  

This website uses cookies. By using the website, you agree with storing cookies on your computer. Also, you acknowledge that you have read and understand our Privacy Policy. If you do not agree, please leave the website.

More information